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Interview mit Vasily Gatov zum Thema Fake News

Beim diesjährigen scoopcamp wird Vasily Gatov, russisch-amerikanischer Medienanalyst und -forscher, einen Vortrag zum Thema Fake News halten. Er gilt als digitaler Vordenker der Nachrichtenindustrie und arbeitete unter anderem anderem als Leiter des Medialabs bei der früheren russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti. Im Jahr 2013 ging Gatov in die USA und verfolgt seitdem als Wissenschaftler und Experte die Veränderungen der Informationsbranche. Besonders intensiv beschäftigt ihn das Phänomen Fake News und wie sich Qualitäts-Journalismus gegen digitale Propaganda wappnen kann.

Falschmeldungen verbreiten sich rasant im Netz. Was ist ein Grund dafür, dass Fake News heute ein aktuelles Thema sind?

Um genau zu sein, ist das Internet selbst der Grund dafür. 2010 war das Netz mit den notwendigen Tools und Services ausgestattet, die das Wachstum der Fake-News-Industrie (und Kriegsführung) ermöglichten. In den meisten früheren Wellen (Fakes News sind absolut kein neues Phänomen) waren der technische Fortschritt in Verbindung mit einem leichteren Zugang zu Produktionsmitteln ebenfalls ein Grund für Fake News. Dafür gibt es verschiedene Beispiele: Durch günstigere Druckmaschinen konnten Penny-Press-Zeitungen veröffentlicht werden und führten im späten 18. Jahrhundert zu einem Anstieg der „Yellow Press“. Die Erfindung der Radioübertragung gab der gewaltigen Propaganda der Nazis in den 30ern und 40ern eine viel zu mächtige, fast halb-fake agressive Plattform. Die Expansion des Kabelfernsehens in den 2000ern öffnete Infotainment-Formaten wie FoxNews die Türen, bei denen Nachrichten durch Meinungen ersetzt werden. Der Anstieg digitaler Fake News entwickelte sich aus einem Zusammenspiel von technischer Kapazität und wachsender Polarisierungen, die die post-industrielle Gesellschaft unweigerlich beeinflussen.

Gezielte Falschmeldungen gab es schon immer, was ist neu an den Fake News von heute?

Ich würde behaupten, dass die aktuelle Fake-News-Welle einen großen Verstärker hat, den es nie zuvor gegeben hat: soziale Netzwerke. Sie dienen nicht nur als Distributionsplattform, sondern beziehen auch Menschen mit ein und können deren Verhalten beeinflussen. Außerdem stellt das digitale Ökosystem viele Monetarisierungsmöglichkeiten zur Verfügung – ursprünglich waren sie zur Unterstützung der Entwicklung der Bürgerbeteiligung bei der Erstellung von Inhalten gedacht, jetzt stellen sie starke Anreize für Geldverdiener dar. Die kommerzielle Tarnung erlaubte es vielen bösartigen Mächten (auch solchen, die einen Informationskrieg führen) tiefer und einfacher in gezielte Mediensysteme einzudringen.

Wie könne User Fake News erkennen? Was sollte man tun, wenn man den Verdacht hat, dass es sich bei einem Posting um eine Falschmeldung handelt?

Dies ist der schwierige Teil an der Sache. Nicht alle Fake News sind gleich, einige sind in Wirklichkeit z. B. Satire oder einfach nur Scherze, die fälschlicherweise als echte Nachrichten fehlinterpretiert wurden. Andere Falschmeldungen sind bewusste Propaganda von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren, die bestimmte Kommunikationsziele haben (ihre Zielgruppen verängstigen, sie ablenken oder sie zu einem Verhalten animieren, das gegen gesellschaftliche Normen verstößt). Der neueste Satz an Fake News kommt aber von politischen Mächten (oder kommerziellen Mächten, die sich als politische Anhänger tarnen), die die Gesellschaft mit allen Mitteln verändern wollen. (…)

Die Grundlage, um Fake News zu bekämpfen, ist die Entwicklung kritischen Denkens, was ein großter Teil der Medienbildung ist. (…) Aber weder kritisches Denken noch Medienkompetenz in Schulen sind eine Sicherheit dafür, dass Leute Falschmeldungen entdecken und aufhalten.

 

Wie die Vergangenheit gezeigt hat, ist die Lösung für Fake News meist ein komplexes, sozio-technologisches Maßnahmenset, das verschiedene Komponenten beinhaltet und von unterschiedlichen Institutionen und Gesellschaftsstrukturen umspannt wird. Teilweise kann das Problem der Fake News dadurch gelöst werden, dass eine Drittpartei verdächtige Informationen oder Quellen kennzeichnet: es sollte eine Grundlage für die rechtliche Kontrolle von Organisationen und Leuten geben, die an der ständigen Produktion von Falschmeldungen beteiligt sind. Es sollte professionelle Regeln geben, die Journalisten, Herausgeber usw. daran hindern, zu Mitwirkenden von Falschmeldungen zu werden. Schulen und Universitäten müssen sich der Medienkompetenz für Kinder und Erwachsene annehmen. Aber es gibt keine Patentlösung, die das Problem unmittelbar löst.

In meinem Vortrag auf dem scoopcamp werde ich einige Ideen vorstellen, die als Gerüst für das einfachere Entdecken von Fake News dienen können; ich hoffe auch, dass diese Ideen Journalisten und Medienunternehmer dabei unterstützen, einen spürbaren Beitrag in diesem Kampf zu leisten.

Mit der Verbreitung von Fake News wächst das Misstrauen zu Journalismus seitens Lesers. Was können Journalisten dagegen tun?

Das Problem des fehlenden Vertrauens hat weniger mit Fake News, sondern mit generellen, bahnbrechenden Veränderungen in der Gesellschaft zu tun, die der Journalismus und die Medienorganisationen in den Jahren 2000-2010 übersehen haben. Um es noch deutlicher zu sagen: sinkendes Vertrauen in die Massenmedien als Institution (vor allem in polarisierten Gesellschaften wie in den USA oder Osteuropa) ist zu einem Auslöser für die aktuelle Fake-News-Welle geworden.

Wie ich bereits oben erwähnt habe, werden nur komplexe und koordinierte Maßnahmen die Gesellschaft mit einer temporären Lösung versorgen; Journalisten und Redakteure werden ihren Teil dazu beitragen müssen, aber nicht mit einem erbitterten Kampf gegen Lügen und Schwindel. Meiner Meinung nach muss viel getan werden, um das Vertrauen und die Unterstützung des Publikums zurückzugewinnen. Es gibt viele Dinge und Trends, Ereignisse und Sorgen die lückenhaft dokumentiert sind, missverstanden und unter verschiedenen Tabus und Vorurteilen begraben werden. Keine Kultur und keine Gesellschaft ist perfekt, kein Staat ist genial und vollkommen. Der Job der vierten Gewalt ist der eines Wachhundes, mit offenen Augen und einer klaren Stimme – um Menschen dabei zu helfen, ihr Wissen, ihre Macht und ihre Gemeinschaft zu finden.

Bald finden die Bundestagswahlen in Deutschland statt. Können Fake News tatsächlich die politischen Entscheidungen beeinflussen?

Ja, Fake News sind eine mächtige politische Waffe geworden und beeinflussen die Entscheidungen der Menschen – einschließlich Wahlentscheidungen. Ich hege die Hoffnung, dass Deutschland immuner gegenüber dieser Gefahr ist, weil es eine dynamische und weniger polarisierte Gesellschaft als z. B. die USA hat.

Glauben Sie, dass insbesondere die jüngere Generation von der Fake-News-Debatte betroffen ist, da sie stärker in den sozialen Medien aktiv ist, die Fake News eine enorme Plattform bieten?

Die Frage beinhaltet schon die Antwort: Da soziale Netzwerke ein Treiber und eine Plattform für die Fake News von heute sind, erreichen sie junge Menschen schneller, regelmäßiger und mit größeren Auswirkungen. Aber es besteht eine gute Chance, dass junge Leute wachsen, sich weiterbilden und sehr viel weniger konservative Gewohnheiten haben. Sie sind Falschmeldungen zwar mehr ausgesetzt als ältere Generationen, aber sie passen sich falschen Konzepten sehr viel weniger an.

Sind Sie der Meinung, dass Plattformen wie Google, Facebook oder Twitter genug unternehmen, um Fake News zu bekämpfen? Wo sehen Sie noch Handlungsbedarf?

Nun ja, immerhin haben sie die Existenz des Problems zugegeben und eine Reihe von Initiativen gestartet, die eine Art von Lösung ihrerseits darstellen können. Das Problem von Facebooks und Googles Schuld am Anstieg von Fake News ist wichtig, sollte aber nicht für die Verfolgung und konstante Diskriminierung der Institutionen ausgenutzt werden. Die Regierung, die Gesellschaft und Verlage (deren Business durch Facebook und Google schwer geschädigt wird) setzen Web-Giganten unter Druck, aber dieser Druck verpflichtet Journalisten nicht dazu, sich ihnen anzuschließen. Es ist sehr viel vernünftiger und professioneller, die Situation als eine fließende, sich verändernde Realität zu verstehen, in der die früheren Feinde des Journalismus seine besten (und wenn nicht gar letzten) Verbündeten werden können.

Vielen Dank für das spannende Interview!

(freie Übersetzung der Redaktion aus dem Englischen)

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